Ich spreche ausschließlich von „Tätern“. Mir ist bewusst, dass auch Frauen sexualisierte Gewalt ausüben und dies weit häufiger als angenommen. Der prozentuale Anteil ist allerdings so gering, so dass die Realität verzerrt würde, spräche ich von Täter_innen.

Mir ist die damit einhergehende Problematik bewusst, dass sich einige, die Gewalt durch Frauen erlebt haben, unsichtbar fühlen können.
Ich bin mit der jetzigen Lösung auch nicht wirklich zufrieden, sie erschien mir aber als das kleinere Übel.

Sonntag, 12. Januar 2014

Kleiner Exkurs in die Moralphilosophie

Kleiner Exkurs in die Moralphilosophie

Im August 2013 hörte ich erstmals, dass diese „starre Haltung“ bei Einigen moralphilosophisch begründet sei. Darüber war ich sehr erstaunt, da ich mir nie und nimmer hätte vorstellen können, dass sich diese Haltung moralisch legitimieren ließe. Ich hatte mich nie zuvor mit Moralphilosophie befasst und mich bisher nur oberflächlich in das Thema einlesen können, erschwert durch Texte, die üblicherweise in keiner allgemein verständlichen Sprache verfasst sind. Dennoch fand ich es wichtig, diesen Punkt mit aufzunehmen.

Zur Veranschaulichung, dass Moral absolut gelten muss, werden Vergleiche mit Menschen hergestellt. Beispiele werden nach dem Muster gewählt: Ein moralisches Gesetz gilt absolut. „Nur ein bisschen [Moralisches Gesetz]“ oder „[Moralisches Gesetz] gilt unter bestimmten Bedingungen“ macht keinen Sinn. Gewählt wird ein moralisches Gesetz, das allen sofort einleuchtet. Aufgrund der kulturell eindeutigen Bewertung von Vergewaltigung, wird häufig dieses Beispiel für ein moralisches Gesetz gewählt; wichtig ist nur der Aspekt „ist immer schlecht“. Dabei wird nicht berücksichtigt, dass einige Hörer_innen (mit Gewalterfahrung) allein durch die Erwähnung traumatisiert werden können. Ebenso wenig berücksichtigt wird, dass die Aussage „nur ein bisschen [Moralisches Gesetz] macht keinen Sinn“ eine zweite Interpretation mit sich bringt, nämlich dass es egal sei, in welchem Maße ein Verstoß stattfindet. Dies ist zwar moralisch richtig (dadurch, dass etwas weniger schlimm ist, wird es nicht „gut“), nicht aber aus der Perspektive der Opfer, was aber nicht interessiert, da nur gezeigt werden soll, dass X moralisch immer schlecht ist und es nicht um Abstufungen im Schlechten geht.
 
Abstrakt ist die Bewertung klar. Reales Leben ist aber nicht abstrakt. Es gibt nicht nur Schwarz und Weiß, sondern ganz viele Graustufen. Der Absolutheitsanspruch, dass Vergewaltigung (um bei diesem Beispiel zu bleiben) immer schlecht ist, steht hierbei also überhaupt nicht zur Disposition, sondern wird um die Opferperspektive ergänzt.

Eine Gruppe schreibt auf ihrer Internetseite:

Doch selbst, wider aller Empirie, angenommen es gäbe Anlass zu glauben, dass sukzessiver Tierschutzaktivismus zur Abschaffung von Tierausbeutung führe: Die in einem Tierschutzansatz logisch enthaltene Hinnahme der Ausbeutung als solcher, wäre aus moralischen Gründen zurückzuweisen.“
 
Wenn schrittweiser Tierschutzaktivismus zur Abschaffung der Tierausbeutung führte, dann wäre es nicht nur in höchstem Maße moralisch verwerflich, den Opfern eine Linderung ihres Leids zu verweigern, sondern es wäre geradezu moralische Pflicht, sich für Verbesserungen einzusetzen, solange die Ausbeutung andauert. Dass jene, denen die Verbesserungen zugute kommen, diese Verbesserungen nicht subjektiv als solche wahrnehmen könnten, weil ihnen der Vergleich zur vorherigen, noch schlimmeren Situation fehlt, ist kein Argument gegen Verbesserungen, da Verbesserungen objektiv weniger Leid bedeuten. Zumal dies genau die Argumentationsweise der Ausbeuter_innen ist, dass nämlich Tiere, die die Freiheit nicht kennen, diese nicht vermissen könnten. Dass es im Rahmen von Verbesserungen Negativeffekte geben kann, wie im Falle von Hühnern, die mit Artgenossen in zu kleinen Volieren oder in Boden- oder Freilandhaltung gehalten werden, die nicht genügend Platz und Rückzugsmöglichkeiten bieten und die Tiere zusätzlichem Stress aussetzen, ist klar. Das Problem ist dann aber nicht die Reform als solche, sondern dass diese nicht weit genug geht. Gemeint sind hier tatsächliche Verbesserungen, wie zum Beispiel eine Verkürzung von Transportzeiten
 
Dieses starre Festhalten an Grundsätzen wurde und wird innerhalb der Philosophie allerdings auch als lebensfremd kritisiert. Hier fand ich einen, allgemein verständlichen, Vortrag Adornos aus dem Jahr 1963. In Probleme der Moralphilosophie sagt Adorno:

Theorie, die keine Beziehung zu irgendmöglicher Praxis enthält […], wird entweder wirklich zu einem leeren und selbstgefälligen und gleichgültigen Spiel, oder, noch schlimmer, sie wird zu einem Element der bloßen Bildung, also zu einem toten Wissensstoff, der für uns […] lebendig handelnde Menschen völlig gleichgültig ist. Umgekehrt ist es so, daß Praxis [...], die [...] sich nun einfach selbstständig macht und den Gedanken von sich wegscheucht, herabsinkt zur Betriebsamkeit.“[12]

Abstraktion und Konkretion

(Inhaltswarnung für diesen Abschnitt: Schilderung sexualisierter Gewalt)

Ich vermute, vielen ist nicht wirklich bewusst, worum es bei bei sexualisierter Gewalt geht. Mir sagte jemand, wenn diese Vergleiche genutzt werden, stellten sich die Betreffenden keine konkrete Vergewaltigung vor, sondern sehen das eher abstrakt. Betroffene verbinden damit aber ganz konkrete Bilder, Gefühle und Ängste, den Geruch und Geschmack von Körperflüssigkeiten oder Geräusche (z. B. Stöhnen und Keuchen des oder der Täter, während der Tat).
 
Es geht um unerträglichen Ekel, totale Ohnmacht, Hilflosigkeit und absoluten Kontrollverlust über den eigenen Körper. Totales Ausgeliefertsein an die Willkür einer anderen Person und unbeschreibliche Angst, oftmals Todesangst, völlige Entindividualisierung und Verdinglichung. Ist der Täter eine Vertrauensperson wie Vater, Bruder, Onkel, Freund, bedeutet es darüber hinaus einen ganz massiven Vertrauensmissbrauch. Nicht wenige Betroffene haben eine oder sogar mehrere Selbstmordversuche hinter sich, manche kauen Kaffeebohnen, um den Geschmack von Sperma loszuwerden, andere schrubben ihren Körper mit Drahtbürsten oder waschen sich mit Klorix um den Geruch von Sperma von ihrer Haut zu entfernen. Aber der Geruch hält sich hartnäckig, so als wäre er mit der Haut verschmolzen. 
 
Sexualisierte Gewalt hat viele Formen und beginnt bei gierigen Blicken und anzüglichen Bemerkungen, „zufälligen“ Berührungen (Kinder merken sehr genau, wann eine Berührung nicht in Ordnung ist) und reicht bis zu schwersten körperlichen Misshandlungen. Doch auch vermeintlich „harmlose“ Blicke, Bemerkungen und Berührungen, können bei Betroffenen starke Ängste auslösen, da sie in ständiger Angst leben, dass irgendwann etwas schlimmeres passieren könnte. Sexualisierte Gewalt ist für die Betroffenen immer schlimm und ein massiver Angriff auf die physische und psychische Integrität. Egal in welcher Form sie stattfindet. 

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